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2013
...guten Tag!
 

Lachte die Dickmadam bevor oder nachdem die Eisenbahn krachte?




Also das ist schon merkwürdig. Diese Verhörer und falsch-Versteher sind ja nun spätestens seit Axel Hackes "Der weiße Neger Wumbaba" in aller linksintellektueller, nativ-olivenölverschmierter Mundwinkel anzutreffen - Falsch-Versteher sind also nun salonfähig geworden und gehören jetzt zum Mainstream. So will auch ich mein mainstreamiges Anliegen Mainstream kundtun.

Angefangen hat es bei mir wahrscheinlich schon sehr früh mit dem Falsch-Verstehen. Meine Grundschul-Klassenlehrerin z.B hieß Frau Priesemann. Ich habe zwei Jahre lang gedacht, sie hieße Frau Pieselmann. Da gab es kein wenn und aber - denn niemand, wirklich niemand hat mich in diesen zwei Jahren des Mißverstehens über meine Lautfolge-Legastenie aufgeklärt.

Dannach folgte in der Kirche das Singen des Kyrie Eleisons - bei mir knallhart sowas wie "Kühe, See, Alleinsam".

Noch etwas später und schön banal: es gibt doch diesen vielumworbenen Fliesenhersteller mit dem Namen Raab Karcher - ich dachte bis vor wenigen Jahren es handele sich um Raab Kracher, und fand den Namen eigentlich auch immer ganz witzig, bis mich eines Tages meine Augen an einem Werbeplakat vorbeiführten und mein Hirn mir sagte - "Junge!Jetzt schau doch mal genauer hin." Oh Menno. Ist ein Karcher, bzw. ein Kärcher nicht einer dieser Hochdruckreiniger mit dem Sarkozy die französischen Banlieus vom Gesindel befreien will? Egal.

Um noch mal auf Wumbababa zurückzukommen - Das bekannte Lied von Hot Chocolate war für mich übrigens immer "I believe in Mirko". Ich fragte mich immer wieder, was so ein dummdeppiger, bleichgesichtiger "Mirko" in so einem groovigen Hot Chocolate Stück zu suchen hatte. "Mirkos" waren für mich immer so aschfahle blonde Jungs im Schulbus. Mit Scout-Ranzen und Fahrkarte um'n Hals. Und ausgerechnet Hot Chocolate believten damals in "Mirko"...

Na dann gut Nacht Amerika, dachte ich mir in der letzten Reihe des besagten Schulbusses und ritzte sogleich mit meinem Zirkel "AC/DC" in den Aschenbecher mit der Aufschrift "Kässbohrer" (ach, was haben wir immer gelacht..) vor mir - denn mein Schulbus des Unternehmens mit dem schönen Namen "Autokraft" war ein ausgedienter Reisebus. Selbst die Fettkopf-Kopflehnen- Sitzpolster-Schoner aus einem ekelhaft zahngelben Krepp-Stoff waren noch fein säuberlich an jeder Kopflehne befestigt. Es war ein Leichtes die Dinger abzuziehen um anschliessend standup-komödiesque in eine Duschhaube umzufunktionieren. Ich glaube meine Kumpels und ich in der letzten Reihe sahen damals ziemlich cool damit aus... aber jetzt schweife ich wirklich ab.

Das eigentliche Anliegen dieses Schreibens ist folgendes: Ich bin ja jetzt Vater eines kleinen Murpels. Neulich sang meine Lebensgefährtin ihm ein Lied und wir gerieten alsgleich in einen kleinen Streit darüber,welche Version der Lyrics von "Eine kleine Dickmadam" nun die richtige sei.

Hier meine Version: "Eine kleine Dickmadam fuhr mal mit der Eisenbahn, Eisenbahn die krachte, Dickmadam die lachte. "

Und nun ihre Version (identischer Anfang, erfährt dann aber eine erstaunliche Wendung!)

" Eine kleine Dickmadam fuhr mal mit der Eisenbahn, Dickmadam die lachte, Eisenbahn die krachte!"

Poh. Da war ich schockiert. Für mich als Nach-Nachkriegskind war es immer ganz klar, dass selbst das Krachen der Eisenbahn einer übergewichtigen Dickmadam nichts anhaben kann. Man sich dem Schicksal einfach ergibt und trotzdem weiterlacht. Zug kaputt - ejal. Was hamwer wieder jelacht. Gib mir mal noch ne Leberworscht Stulle - is so zugig hier uffe Schienen..wann fahrnwer weiter?

Die Version meiner Partnerin jedoch, vermittelt ein komplett anderes, ja beinahe lustfeindliches Weltbild. Nicht dass die Madam einfach nur dick ist - naheiiin - die fette Kuh besitzt nun auch noch die unerhörte Frechheit in einem Wagon der deutschen Bundesbahn zu lachen! Natürlich kommt es bedingt durch die Fettleibigkeit der Passagierin zu einem Achsenbruch und das Gefährt kracht in sich zusammen, auf die Schienen. Ein Millionenschaden. Und wer muß das bezahlen, na? Der kleine Mann natürlich. Ein Fall für Raab Kracher.

Schwierige Angelegenheit das... jetzt stellt sich natürlich die soziokulturell relevante Frage, mit welchem Songtext man das Kind jetzt erziehen soll....

P.S hier noch das Ende des Liedes -
"...lachte, bis der Schutzmann kam, und sie mit zur Wache nahm." Das ist die RAF Mohnhaupt-Variante. Kennt jemand ein anderes Ende?


 
mausimurpel, 25. April 2007 um 13:07:49 MESZ

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Drei Wochen in der Reha-Klinik


Hallo werte Leser! Heute ein ganz toller Gastkommentar von Frau Hildebrandt. Sie war letztes Jahr in der Reha-Klinik in Berlin Hoppegarten, um sich von ihrem jemenitischen Balkonsprung zu erholen... Voilà:

Laufen lernen

Berlin-Hoppegarten ist für seine Pferderennbahn bekannt, doch nebenan in der Reha-Klinik bestimmen Krücken das Tempo. Wer hier wieder laufen lernen will, begegnet Topflappenverkäufern, eifrigen Zivis und verwirrten Anwälten. Und an Ostern suchen alle zusammen Eier.

Gastkommentar von Paula Marie Hildebrandt

„Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu dürfen … für voraussichtlich drei Wochen … Median Klinik in Berlin-Hoppegarten …“, ich überfliege den Brief der Deutschen Rentenversicherung. Das bedeutet Ostern in der Reha-Klinik und zehn Seiten Formulare ausfüllen. Nach der Diagnose Fersenbeinfraktur beidseitig, links OP mit neun Schrauben und Platte, drei Monate liegen und Rollstuhl endlich ein erster Schritt, um wieder laufen zu lernen. „Informationen zur An- und Abreise finden sich unter Ziffer 2, bzw. erkundigen Sie sich bei Ihrer Klinik“, die aber ist nicht zuständig. Es tue ihr leid, sagt die Frau am Telefon und rät, ein Taxi zu nehmen und sich wegen der Zuzahlungsmodalitäten, Ziffer 2, mit der BVA in Verbindung zu setzen. Ich fahre mit dem Taxi. Hoppegarten ist direkt an der B1, immer die Frankfurter Allee raus, Richtung Köpenick, Hellersdorf, dann hinter Kaulsdorf an der Ampel beim Pflanzencenter Kölle links. Wo jetzt das Pflanzencenter ist, war früher das Winterquartier des Staatszirkus der DDR, heute züchtet noch genau eine russische Zirkusfamilie hier weiße Schäferhunde, die nachts manchmal heulen. In der Rennbahnallee stehen noch zwei Gründerzeitvillen, Louise und Viola, jetzt unbewohnt, die Fenster und Türen mit Brettern verrammelt, im Garten ein Sperrmüllhaufen und ein schiefer Zaun. An der Bushaltestelle vor der Klinikeinfahrt kein Mensch, in der Woche nie, nur sonntags manchmal der Besuch, stündlich auf dem Weg zum S-Bahnhof.

Vorwiegend ältere Menschen mit einem Stoffbeutel um den Hals schlurfen durch den Empfangsbereich der Klinik, setzen langsam einen Schritt nach dem anderen, sitzen auf den Holzbänken vor dem Eingang. Später werde auch ich hier sitzen. Vormittags ist hier Sonne. Bei der Aufnahme bekomme ich einen Stoffbeutel, ein Therapielaken, Zimmerschlüssel, das Terminheft für die täglichen Anwendungen und eine Mineralwasserflasche, die ich wieder auffüllen soll, wenn sie leer ist. Auf dem Weg Richtung Fahrstuhl entdecke ich in einer Vitrine die Souvenirs, die man hier kaufen kann: Schlüsselband, Kaffeetasse und Kugelschreiber - alles mit dem Klinik-Logo, einem Leonardo Da Vinci Strichmännchen in einem blauen Kreis mit ausgestreckten Armen und Beinen. Schließlich ist das Motto hier: Der Mensch im Mittelpunkt.

Während ich auf den Fahrstuhl warte, schaue ich mir den Stand von Herrn Bürdel von der Firma Textilkunst Bürdel an. Die Schokolade sei immer schnell ausverkauft, erst später finden sich Käuferinnen für die weißblauen Topflappen in den Varianten Residenz, Pfauenauge und Paradiesvogel. Vor dem linken Fahrstuhl klappt eine alte und sehr weiße Frau zusammen und fällt mir in die Arme. Zu viert mit sechs Krücken und einem Rollstuhl schieben wir den Stuhl von der Telefonkabine zu ihr, wedeln mit dem Terminheft Luft und beruhigende Worte. Keiner kommt. Ich gerate in Panik, krücke nach vorne. Die Frau an der Anmeldung telefoniert nach der Dienstschwester, die versucht, mich zu beruhigen: „Wenn sie pfeifen können, haben Sie keinen Schlaganfall.“ Achso. Nach ein paar Minuten kommen endlich zwei Krankenpfleger und tragen die weiße Frau weg. Am nächsten Tag ist wieder Molly Mode dran mit Wäsche und Textilien, übermorgen Floristik, Karten, Puppen und dann wieder Keramik - „für alles, was sie nicht brauchen“ wird später Klinikleiterin Frau Haase erklären.

Als ich zu meinem Zimmer an der Tür von Zimmer 206 vorbeigehe, fällt mir eine große grüne Pappsechs auf. Von der Schwester erfahre ich, dass der Patient sich immer verlaufen hat und deshalb die Sechs an der Tür klebt. Am nächsten Morgen wartet er vor seiner Tür und fragt: „Ist heute Mittwoch?“ Das fragt er mich jeden Morgen, fragt nach dem Mittwoch, noch vor dem Frühstück. Zwei Wochen später ist die grüne Pappsechs nicht mehr da. Mein Zimmer ist wie alle anderen schlicht und funktional eingerichtet. Ein schmales Bett, Tisch, Sessel und Fernseher; nur das Behagen der im Klinikprospekt angepriesenen „behaglichen“ Einzel- und Doppelzimmer bleibt draußen. Klinikspezifischen Komfort bieten zwei Metallhalterungen neben dem Bett für die UAGs – die Frau am Empfang hatte mich bereits aufgeklärt: wir sagen hier nicht Krücken, sondern Unterarmstützen, also UAGs. Auf Nachfrage bekomme ich noch einen Duschstuhl. Auch bin ich dankbar für den kleinen Wandvorsprung, der sich wunderbar eignet zum Aufstützen und zum Abstellen von Desinfektionsspray, Wasserflasche, Thrombose¬spritzen, Tabletten und Badesachen. Allerdings wird dort nicht geputzt, wenn Sachen draufliegen. Die Stationsschwester erklärt: „Ganz wie Sie wollen. Sie können das selbst entscheiden. Sachen ablegen und schmutzig oder keine Sachen und sauber. Auch ob Sie fernsehen wollen, können Sie jeden Tag neu entscheiden.“ Ich blicke auf ein grasbewachsenes Flachdach, dahinter liegt der kleine Klinikpark und eine Wiese mit Birken und links Kiefern.

Ein Kiesweg schlängelt sich um weiße Parkbänke, vernachlässigte Kräuterbeete und verfrorene Apfelbäumchen. Sogar eine Ente fliegt vorbei. Auf dem Flur Schritte mit Krücken, also UAGs, auf weichem Bodenbelag. Klick, humpf, klick, humpf, klick, humpf. Patienten, die nur noch eine Krücke brauchen, sind die heimlichen Stars der Klinik.

Immer donnerstags ist „Begrüßung“. Jeder bekommt von Klinikleiterin Frau Haase persönlich den Willkommensdrink (Multivitaminsaft im Plastiksektglas, aber mit Glitzerfähnchen) in die Hand gedrückt - die Zuspätkommenden etwas weniger freundlich. Die Stuhlreihen sind voll besetzt, unter den Stühlen liegen UAGs, Stoffbeutel, später Plastiksektgläser und Glitzerfähnchen. Im Gang sitzen die Patienten im Rollstuhl und wer gar nicht sitzen kann - Hüfte oder Bandscheibe - steht. Frau Haase beginnt gleich mit dem Wichtigsten, den Verboten. Erstens, zweitens und drittens. Kein Alkohol, keine Zigaretten, keine privaten Bügeleisen auf den Zimmern. Außerdem gibt es im Fernsehraum 1 Erstes und im Fernsehraum 2 Zweites Deutsches Fernsehen. „Sie brauchen also keine Fernbedienung zu suchen und es kommt zu keinem Streit.“ Wir nicken, macht Sinn, ganz einfach. Auf die Frage nach weiteren Anregungen meldet sich ein großer kräftiger Mann und will mehr essen, also größere Portionen. Verlegen rascheln glitzernde Trainingsanzüge, einige schmunzeln, sein Sitznachbar weist ihn auf die Möglichkeit hin, sich einfach mehrmals am Büffet anzustellen.

„So, Frau – äh, Sie legen sich mal in die sieben und machen sich obenrum frei. Ick komm gleich wieder.“ Es beginnt ein Leben im Zwanzigminutentakt und der Zivi dirigiert mit seinem Kugelschreiber. In den Wartezeiten dazwischen zeigen sich Patienten und Patientinnen gegenseitig ihr Terminheft und sammeln Unterschriften¬kürzel. Jede Anwendung wird abgezeichnet, sonst zahlt der Kostenträger nicht. Die Schwarzmarktpreise für Wochenendausflüge, beziehungsweise vom Zivi gegengezeichnete Abwesenheiten, steigen über Ostern beträchtlich - man munkelt etwas von 20 Euro. Kleine surrende Motoren bewegen die schmerzenden Gelenke; über der Wasserdruck-Massageliege hängen Plakate für künstliche Hüftgelenke, Prothesen und Klimastrümpfe mit Mikrofaser. Mit der warmen Fango-Schlammpackung unter dem Rücken in eine Wolldecke eingerollt jetzt noch genau zehn Minuten entspannen. Antenne Brandenburg dudelt durch den blauen Plastikvorhang, seilt sich an der roten Notrufstrippe ab und singt die Oma in der Nebenkabine in den Schlaf. „Gleich nach der Werbung: alles über Fahrerflucht, und: Schüler aus Rheinsberg engagieren sich gegen Rechtsextremismus!“ Dann sind schon die nächsten Zwanzigminuten dran. In der Ergotherapie rührt ein Mann in einer Plastikschüssel mit Sand. „Sehr schön machen sie das, ja, und jetzt noch mal links rum“. Eine Frau webt mit den Knien, ich mit den Füßen und lerne: „Das ist Ergotherapie, dass Sie Mobilität und Kraft trainieren und dass am Ende was bei rauskommt.“

Im H2O – man sagt hier nicht Schwimmbad, sondern H2O – läuft Mutmachmusik zum Aquajogging. Im Wasser fühle ich mich sicher, nachdem ich mit einem Personenkrahn ins Becken gelassen werde, die neuen Badelatschen brauche ich erst in der dritten Woche. Wir joggen im Kreis, ohne den Boden zu berühren. „I will survive!“ Dann andersrum und eine letzte schnelle Runde. „Give me hope, Joana! Hope, Joana!“ Es folgen Bauchmuskelübungen auf der Nudel, einer 1,5 Meter langen Schaumstoffrolle in rosa oder blau. „Baby, don’t hurt me. No more.“ Zum Abschluss setzen wir uns auf die Schaumstoffnudel, fahren mit den Beinen Fahrrad und machen gemeinsam eine letzte Runde Polonaise durchs Becken.

Einmal die Woche ist Chefarztvisite. Wer zum angegebenen Zeitraum nicht im Zimmer ist, hat Pech gehabt und muss aussetzen. Ein kurzes Händeschütteln, Röntgenbilder, aha, knappe Anweisungen zur weiteren Behandlung, die Stationsärztin notiert. Auch wer sich gewissenhaft mit einem Fragezettel vorbereitet, ist nach spätestens drei Minuten fertig. Nach einer Woche darf ich rechts auftreten, nach einer weiteren Woche zur Röntgenkontrolle und mir wird gleich eine Verlängerung für weitere drei Wochen angeboten, wofür ich von vielen beneidet werde.

Manche sind gerne hier, andere wollen so schnell wie möglich wieder weg: Der Mann neben mir fährt mit dem Trimmfahrrad schon nach Hause, weil „sind ja nur zehn Kilometer und acht hab ick schon…“, aber das Ergometer bleibt im Geräteraum. Für nicht wenige Patienten öffnet sich die Automatiktür am Foyer nur zur Ab- und Anreise. Schon die wenigen Meter über den Parkplatz zum Kliniktor (und wieder zurück!) sind einfach zu weit - der Ausflug „Blumen-kaufen-und-Kaffeetrinken-beim-Pflanzenkölle“ bleibt unerreichbar. Nach zwei Wochen darf ich auch mit meinem linken Fuß den Boden berühren. Die Physiotherapeutin gibt die Devise Knäckebrot aus: „Das musst du dir so vorstellen, als würdest du auf Knäckebrot laufen. Ganz vorsichtig aufsetzen und behutsam abrollen, nicht zu langsam, sonst kippste um.“ Ich versuche, nicht zu bröseln, aber auch ohne Krümel piekt jeder Schritt.

„Ja, Hand und Fuß sind selten hier, da müssen wir zusammenhalten“, findet ein Mann mit rotblondem Haar. Er ist Anwalt beim Amtsgericht und kann wegen der gebrochenen Hand keine Akten abzeichnen. Am Wasserabfüllhahn bietet das Mischverhältnis zwischen still und sprudelnd einen willkommenen Anlass für zufällige Gespräche. Denn normalerweise wird unter Patienten nicht gegrüßt, manchmal zurückgegrüßt, ein kurzes Nicken und Lächeln beim Aneinandervorbeikrücken, als wäre nix geschehen. Menschen mit täglichen Schmerzen, die nur gekrümmt mit Krücken laufen und Schmerztabletten brauchen, um den eigenen Körper kurzzeitig vergessen können, sind nicht freundlich. Und dass wir hier in der Klinik nicht darauf angewiesen sind, das dauernd zu erklären, ist eine große Erleichterung. Das ist schön hier in Hoppegarten, dass alle diese Bedürftigkeit kennen. Wenn wieder die Krücke umfällt oder die Angst vor dem nächsten Schritt dich lähmt. Die wenigen männlichen Patienten machen gerne einen blöden Spruch: „Langsamer jeht’s wohl nisch, wa?“ Ist nett gemeint. „Na, nu, Sie müssn hier ooch no’rinn, wa?“ und so finden sich Ost und West wiedervereinigt im Fahrstuhl der Reha-Klinik in Brandenburg – und vom Putzwagen grüßt der Staubwedel in schwarz-rosa-gelb.

Während der Freizeit im H2O weichen fast nur Männer für eine Stunde im warmen Wasser, reden über die Bundesliga, das Mittagessen, Politiker, alles Gauner, die sich nur bereichern und ihre Diäten erhöhen. Während ich am Beckenrand Gymnastikübungen mache, erfahre ich, dass man immer zu kurz kommt, dass alles Betrug ist und zu wenig, Hartz IV und Rente, dass ehrliche Arbeit sich nicht lohnt. Dass immer mehr Ausländer nach Deutschland kommen, Zigeuner und Straßenmusikanten, Schmarotzer und Bettler. „Denen geht’s gut, aber unsereiner geht arbeiten und verdient nischt. Ick habe gerade wieder von so’ner Zigeunerfamilie gehört, 500 Euro hamm die verdient am Tag. Ick sach ja, dett Geld liegt auf der Straße!“ Gemeinsam im warmen Wasser genießen sie den Gedanken an all die Gauner und Schurken dieser Welt. Und der Türke ist wieder der Erste am Buffet.

Der Speiseraum wird von einem Sternenhimmel aus Halogenlampen erleuchtet, an den Wänden hängen getrocknete Blumenkränze und einige Aquarelle ehemaliger Patienten. Pferde im Profil, auf der Galopprennbahn mit Jockey, grasend auf grüner Wiese, Blick über den Lattenzaun. Zu meiner Verwunderung ist das Frühstücksbuffett bereits morgens um 6.30 Uhr dicht umlagert. Die riesigen Wurst- und Käseplatten sind mit Peperoni und Gurkenscheiben garniert, mittags gibt es vier Salate zur Auswahl: Rotkohl, geriebene Mohrrüben, gekochter Blumenkohl, weiße oder grüne Bohnen. Wer an zwei Krücken geht und seinen Teller nicht selber tragen kann stellt sich an das Ende der Theke und wartet auf eine Serviererin.

„Frau Dreifke, Sie können das nicht verallgemeinern! Jede OP ist anders…“ Wie bei jeder Mahlzeit wird an meinem Tisch bereits lebhaft über das Lieblingsthema diskutiert: Knie- und Hüftoperationen - und das Thema ist ergiebig: künstliche Knie- und Hüftgelenke, nette oder inkompetente Ärzte, private und gesetzliche Krankenversicherung, homöopathische Medikamente, all das. Ich überlege, ob ich mir nicht auch ein abgeschrägtes Sitzkissen kaufen sollte. Wir sprechen auch über Ostergeschenke für die Enkel, Haustiere und unselbstständige Ehemänner, die sich jetzt mal wundern, weil sie selber kochen müssen. Frau Kositzke war Musikschullehrerin in Hellersdorf und hat zu viele Akkordeons gewuchtet, jetzt findet sie endlich Zeit zum eigenen Musizieren. Frau Dreifke malt jetzt Aquarelle. Der Platz mir gegenüber war lange leer, jetzt ist sie wieder da: Frau Jäger aus Mariendorf, das ist bei Tempelhof. Frau Jäger weiß, dass irgendwann nach der linken die rechte Hüfte dran ist.

Dann wird es ruhig im Saal. Ein großer Mann in Shorts, Sandalen und schwarzem Whinnetou T-Shirt ist aufgestanden und räuspert sich: „Also, ick möschte jetzt in aller Öffentlichkeit klarstellen, damit dett auch mein Herr Nachbar hier kapiert, dass meine Frau keine Prostituierte ist, auch wenn Sie aus Asien kommt. Es gibt hier in Deutschland noch immer ’ne Menge Leute, die meinen, dass sie alle Ausländer undso so behandeln können…“ Sein Tischnachbar, der rote Anwalt, guckt weg und sitzt bei der nächsten Mahlzeit an einem anderen Tisch.

Zu Ostern hat die Freizeitgruppe kleine Tischblumentöpfe bemalt und mit grünem Ostergras und bunten Eiern geschmückt. Frau Jäger trägt wie jeden Tag ihre rostrote Weste aus Lederimitat mit Reißverschluss und am Kragen die goldene Schnecken-Brosche: „Iss niedlich, wa? Aber wenn ick aus der Klinik rauskomme, kaufe ick mir einen Kanarievogel.“ Plötzlich weiß ich, es war Frau Jäger, die weiße Frau vor dem Fahrstuhl.

Den Country-Tanzabend am Karfreitag mit der bunten Tänzergruppe Wunder Liners habe ich verpasst, das Eröffnungsrennen auf der Galopprennbahn ist wegen Bodenfrost und Trainingsrückstand der Pferde verschoben, aber am Ostersonntag findet das traditionelle Ostereiersuchen statt. Auf Fensterbrettern, zwischen Topfpflanzen, Gardinen und den Geräten im Trainingsraum hat der Zivi Süßigkeiten versteckt. Ich soll ihm nachher berichten, wie sich die alten Leute gefreut haben, mache ich gerne, denn sie freuen sich sehr. Mit ungeahnter Schnelligkeit krücken wir durch die Gänge. Die ganz Flinken ergattern einen großen Schokohasen, dessen lange Ohren dann triumphierend aus den Stoffbeuteln hervorlugen. An den Feiertagen gibt es keine Anwendungen, die Flure sind wie ausgestorben, hinter verschlossenen Türen vereinzelt Fernsehklatschen. Ich strecke die Füße in die Luft, zur Abenddämmerung kommen Rehe auf die Wiese und extra zu Ostern heulen nebenan die weißen Schäferhunde.


 
mausimurpel, 25. Februar 2007 um 14:40:28 MEZ

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  1. Dezember - Plem Plem in Bethlehem



www.maxim-film.de
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Chaussestraße 17,
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10115 Berlin
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berlin@maxim-film.de

Und an ihren Euterspitzen, sah ich winz'ge Milchkügelchen blitzen....
Ja. Weihnachten ist ja ein Geburtsfest. Und in der Krippe damals in "Bäthlähäm", wie der Amerikaner sagt, stand auch so einiges an Viehzeuchs um die Krippn herum. Im Atzwennzkalända, dessen letztes Päggsche isch hoid aufmache dooorfte, war ein Video mit einer Kuh drauf.

Das Video habe ich bislang noch nicht sichten können, doch bin ich schon gespannt. Laut Google geht es im Filmchen "Musterdorf, mein Musterdorf" um ein in den siebziger Jahren in der DDR errichtetes "Musterdorf" eben. Ein Kuhdorf wohl, im wahrsten Sinne des Wortes. Neben den richtigen Holsteiner Kühen gibt es auch Übungskühe; wie oben auf dem Foto zu sehen, denn ein Großteil der Dorfbevölkerung besteht aus Melkern und Melkerinnen - man stelle sich an dieser Stelle eine Ansprache des Bürgermeisters vor "Sehr geehrte Melker und Melkerinnnen, liebe Kühe...."

Doch zurück zum Vieh. Übungskühe kommen aus der 1. Dimension und haben einen dreidimensionalen Gummi-Übungs-Euter. Das ist philosophisch finde ich. Oder irgendwie indisch. Ich will eine Übungskuh!

Merry Christmas auf jeden Fall erstmal an alle Atzwennzkalända-Leser, leider ist die schöne Weihnachtszeit ja nun vorbei und an ihre Stelle rückt die Zeit "zwischen den Jahren". Und dannach dann die Zeit "nach zwischen den Jahren" auch "2007" genannt. Also: Guten Rutschibert und bald gibt's wieder eine neue Serie auf europaporno. Versprochen.


 
mausimurpel, 30. Dezember 2006 um 14:11:09 MEZ

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